Tobias Sammelsurium der Woche #26/2025
Wir modernen Menschen halten uns für aufgeklärt und demokratisch. Konsens und Solidarität sind uns ein hohes Gut, schließlich möchten wir in einer gerechten und menschlichen Welt leben.
Im Privée der eigenen Gedankenwelt ist auch den Gutmütigsten unter uns sicherlich schon Mal die Idee gekommen, dass die Welt viel besser würde, wenn sich alle so verhalten würden, wie man es selbst für richtig hält. Die Hoffnung, man könne die Außenwelt allein durch die eigenen Gedanken verändern ist verlockend. Dummerweise sind da aber immer noch all die Anderen.
Einige, wenige Menschen sind nicht in der Lage sich mit dieser Einschränkung abzufinden. Sie verzichten nur allzu gern auf Menschlichkeit und Solidarität, wenn es ihnen zum eigenen Vorteil gereicht. Aufklärung, Freiheit und Gerechtigkeit sind ihnen schnurzpiepegal. Die Spitze dieser Anti-Humanisten nennen wir gemeinhin Diktator. – Frauen üben dieses Amt tendenziell eher selten aus.
Man möchte sich Diktatoren als glückliche Menschen vorstellen. Ein Hofstaat serviler Höflinge kümmert sich Tag und Nacht um das Wohlergehen des geliebten Führers. Die zum Erhalt der eigenen Macht notwendigen Gräueltaten, werden weit weg und geräuschlos durchgeführt und so lebt es sich als Fiesling scheinbar ganz kommod.
Denkt man. Diese Woche fiel mein Blick auf einen Bericht des Spiegel mit dem schönen Titel »Hier eröffnet der Diktator feierlich die Wasserrutsche«. Kim Jong-Un, seines Zeichens Diktator und Ober-Fiesling von Nordkorea hat nämlich getan, was der Titel verspricht – er hat eine, genauer gesagt zwei nebeneinander liegende, Wasserrutschen eröffnet.
Das Bild von dieser Zeremonie ist so traurig, dass man es sich näher anschauen muss. Man sieht den dicken Mann mit der Atombombe auf einem Klappstühlchen am Rand eines Schwimmbeckens sitzen. Zu seiner Linken steht ein Tischchen mit Kristallaschenbecher, Zigaretten und einem Getränk. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um über den Schwarzmarkt importierten Hennessy Cognac aus Frankreich, den schon Papi und Opi schätzten. Rechts neben ihm sitzen seine Tochter und eine weitere Frau auf schnöden Monoblock-Gartenstühlen, wie sie auch jeder deutsche Laubenpieper sein eigen nennt. Abgeschnitten am rechten Bildrand stehen zwei der servilen Höflinge, die dem Diktator sein Leben erst ermöglichen.
Alle fünf Menschen blicken in Richtung der sonnengelben Wasserrutschen und beobachten einen Mann, der die offizielle Einweihungsrutschung vornimmt. Die Körperhaltung kurz vor dem Aufklatschen im Pool sieht dabei eher nach Erschießung als nach Wasserspaß aus.
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass der geliebte Führer, vermutlich gerührt, »eine Welle des Glücks« bejubelt habe. Die freudlose Komposition der Szene bildet hierzu einen fast heiteren Kontrast.
War es das, was sich Kim Jong-Un vorgestellt hat, als er Diktator wurde? Statt den Spaß der Wasserrutschen-Eröffnung selbst zu haben, muss er irgendeinem verschreckten Untertan dabei zusehen, wie dieser eine Glückswelle simuliert. Man könnte das Bild als unglücklichen Schnappschuss abtun. Aber ich fürchte, das Leben als Diktator ist wirklich so schal, wie es aussieht. Was hilft all die Macht, all die Boshaftigkeit, all der Schrecken und all die Einsamkeit, wenn man am Ende auf einem Klappstuhl am Beckenrand sitzt?
Deutsche Freibäder sind zugegebenermaßen auch nicht immer Orte reiner Freude. Schließlich macht hier jede*r, was sie oder er will, und das ist zwangsläufig nicht immer das, was ich will. Aber so lange ich dafür nicht auf dem Klappstuhl am Beckenrand sitzen muss, ist mir das schnurzpiepegal.
Dir einen rutschenden Sonntag!
T.
Post der Woche

Fünf fürs Wochenende
Heiße Nächte
Die sommerliche Nacht bringt die Qual der Hitze mit sich. Ventilatoren, feuchte Tücher und Nacktschlaf scheinen probate Gegenmittel zu sein. Aber sie bleiben häufig bestenfalls unzureichende Versuche. Es müssen neue Lösungen her, am besten ganz grundsätzliche. Wie wäre es also, statt das Fenster mal das Haus zu öffnen? Nicht so ein bisschen, sondern inklusive Dach und Seitenwänden. Geht nicht? Geht doch.
» Der bestirnte Himmel über uns
Yoga-Oma
Die Französin Charlotte Chopin ist 102 Jahre alt und immer noch Yoga-Lehrerin. Ihre Gelenkigkeit haben selbst die meisten Menschen, die nur halb so alt sind, nicht. Beeindruckend und mutmachend.
» Rien n'est impossible
The Goodbye Line
Abschied fällt schwer. Das Kunstprojekt »The Goodbye Line« bietet einen Anrufbeantworter, auf den Menschen das sprechen können, was sie beim Abschied nicht gesagt haben. Da verabschiedet sich die Therapeutin von einem Patienten, der ihr ans Herz gewachsen ist, ein Mann von seiner Sucht, eine Frau von einem Verstorbenen und viele von ihren Ex-Partner*innen.
» Ein Abschied kann ein Anfang sein
Ich hab kein Spotify
Bei Apple hieß es mal in der Werbung »Wenn du kein iPhone hast, hast du kein iPhone«. Das ist natürlich nicht sehr inklusiv. Ähnliches gilt auch für Menschen, die keinen Spotify-Account haben. Nur, dass es hier einen feinen, kleinen Dienst gibt, der jeden Song in einen Link zu Apple Music, Deezer oder YouTube übersetzen kann. Clever, ne?
» Nobody likes the records that I play
Beim Warten
Warten und die damit häufig verbundene Langeweile ist seit der Erfindung des Smartphones eine Sache, die vornehmlich digital ertragen wird. Früher musste man noch Spiele wie »Ich sehe was, was du nicht siehst« spielen, um die Zeit totzuschlagen. Zachary Kai hat einige Alternativen zu diesem ermüdenden Klassiker aufgeschrieben, die man allein oder mit mehreren Menschen spielen kann, um völlig analog durch die Warterei zu kommen.
» Grenzzeiterfahrungen
Damals geschrieben
#26/2024: Das greise Haus. Die Affeninsel.
#26/2023: Der Pseudopfaffe. Das Bessere.
Gedanke der Woche
»Der Müllmann ist da. Sag ihm, wir brauchen nichts.«
Groucho Marx
Bild der Woche

Frage der Woche
Ist Eis eigentlich ein gefrorenes Getränk und sollen wir nicht alle viel trinken?
Die geheime Durchhaltsache
Der Versuch 2025, statt eines großen Vorsatzes, eine kleine Sache jeden Tag zu machen.
Diese Woche: 0/7 | Insgesamt: 77/179 | Stimmung 🦥
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