Tobias Sammelsurium der Woche #31/2025
Auf einem Volksfest im fränkischen Hof kam es kürzlich zu unschönen Szenen, weil ein 18-Jähriger über den Tisch gezogen fühlte.
Wer geschickt über den Tisch zieht schafft es, dass die so bewegte Kundschaft die Reibungshitze als Nestwärme empfindet. Diese Gabe war dem Würstelstandbetreiber, der die Wut des jungen Mannes herauf beschwor, offensichtlich nicht gegeben.
Anlass der Auseinandersetzungen war die Preisentwicklung der Bratwurst mit Semmel. Der Jüngling erinnerte sich nämlich, dass damals – in der guten alten Zeit, seiner Kindheit – die Wurstsemmel nur 2 € gekostet habe. Jetzt aber verlangte der Wegelagerer mit Grillstelle unglaubliche 4 € für den kleinen Hungertöter.
Aus Protest rief der Hungrige die Polizei. Nicht einmal, sondern mehrmals – selbst als die Polizei schon längst vor Ort war, wählte er den Notruf. Er bestand darauf, dass er mit dem Gastronomen einen Kaufpreis von nur 3,50 € vereinbart habe und forderte lautstark sein Wechselgeld im Gegenwert von zwei Pfandflaschen.
Nun lernen Jurastudierende schon im ersten Semester, dass es sich bei der Bestellung im Imbiss oder beim Auflegen von Ware auf das Förderband im Supermarkt juristisch um einen Antrag handelt, den der Händler durch das Nennen des Kaufpreises annimmt. Mit der Zahlung ist der Vorgang dann abgeschlossen. Konkludentes, also schlüssiges Handeln, nennen sie das.
Konkludent war hier aber gar nichts, denn weder konnte sich der Grillateur entschließen, die Ware zum Sonderpreis abzugeben, noch der Jüngling auf sein sauer verdientes Geld zu verzichten. Helfen konnte die Polizei schlussendlich auch nicht. Wahrscheinlich hatten die Beamten kein Kleingeld dabei.
Was lernen wir daraus? Nichts bleibt wie es war, selbst der Wurstsemmelpreis nicht. Und: Präzise Anträge und Annahmen sind im Leben einfach unerlässlich.
Ich bedanke mich daher, dass du meinen Antrag in Form der E-Mailzustellung dieses Sammelsuriums durch Öffnen und Lesen angenommen hast. Ich hoffe, du fühlst dich nicht über den Tisch gezogen. Bitte beehren Sie uns bald wieder!
Dir einen preisverdächtigen Sonntag!
T.
Post der Woche

Fünf fürs Wochenende
It was acceptable in the 1990s
Die Fotografin Adrienne Salinger hat vor 30 Jahren Jugendliche in ihren Zimmern besucht. Die einzige Bitte war, vorher nicht aufzuräumen. »Unsere Zimmer erzählen Geschichten über uns. Sie werden zum Aufbewahrungsort für Erinnerungen, Wünsche und Selbstbilder.« sagt sie über ihre Bilderserie. Eine Zeitreise in die Welt von Jugendlichen, die heute lange ihren Kinderzimmern entwachsen sind.
» It was acceptable at the time
A taste of fossil freedom
Blitzschnell reagierte der schwedische Energiekonzern Vattenfall diese Woche auf die Forderung des amerikanischen Präsidenten alle Windkraftanlagen wieder abzuschaffen. Der Schauspieler Samuel L. Jackson gibt dem ganzen seine eigene Würze, schließlich geht es nicht nur um Windkraft sondern auch Snacks. Snacks? Ja, richtig gelesen. Der Clip enthält eine gute Portion Greenwashing aber auch einen liebevoll gereckten Mittelfinger über den Atlantik.
» Motherfucking Wind Farms
Das astronomische Bild des Tages
Diese Website der NASA sieht aus wie aus der grauen Urzeit des Internets. Aber sie bietet etwas, das nur die NASA bieten kann. Jeden Tag ein neues Bild aus der Unendlichkeit um uns herum, versehen mit einem kleinen Erklärungstext. Kann die eigene Perspektive gerade rücken, wenn hier unten mal wieder alles viel zu wichtig erscheint.
» The Truth is Out There
Ruhe in Berlin
Auf der Köpenicker Straße in Berlin steht das ehemalige Heizkraftwerk Mitte. Zur Zeit des Mauerbaus entstand es, um die Bevölkerung im Ostteil der Stadt mit Fernwärme zu versorgen. Heute lebt das brutalistische Industriegebäude als Veranstaltungsort weiter. Bis zum 17. August 2025 können Besucher*innen von Dienstags bis Sonntags zwischen 15 und 20 Uhr kostenlos und völlig still erleben. Keine Ausstellung, kein Programm – nur die Menschen, der Beton und das Licht. Lohnt bestimmt, falls man gerade in der Gegend ist.
» The Quiet Space
Gute Nachrichten x 2
Das Ende ist ja immer nah und aktuell noch mehr als sonst. Schließlich war früher die Zukunft auch schon mal besser. In der immerwährenden Kakophonie der Weltuntergangsszenarien lohnt es sich diese Woche, auf zwei sehr gute Nachrichten zu schauen. Die amerikanische FDA hat ein 100% effektives HIV-Medikament zugelassen, das die Prävention dieser Seuche auf ein neues Niveau heben wird und in Helsinki hat es in den letzten 12 Monaten nicht eine*n Verkehrstot*en gegeben. Die DEKRA veröffentlicht dazu eine Weltkarte der Städte, die mindestens ein Jahr lang keine Verkehrstoten hatte. Alles geht, wenn wir es wollen.
» Nimm das, HIV!» Onnittelut, Helsinki! +
» Weltkarte der Vision Zero Städte
Damals geschrieben
#31/2024: Das Konstruktionsprinzip. Die Ästhetik.
#31/2023: Das Wetter. Der Smalltalk.
Gedanke der Woche
»Ich habe einmal einen alten Priester gefragt: »Sie haben 50 Jahre lang in der Verschwiegenheit des Beichtstuhls Leuten zugehört; was haben Sie über die menschliche Seele gelernt?« Darauf der alte Priester: »Ich habe zweierlei gelernt. Erstens: Die Leute sind viel unglücklicher, als man glaubt. Und zweitens: Es gibt keine Erwachsenen.«
André Malraux
Bild der Woche
Frage der Woche
Was ist (keine) Kunst?
Die geheime Durchhaltsache
Der Versuch 2025, statt eines großen Vorsatzes, eine kleine Sache jeden Tag zu machen.
Diese Woche: 5/7 | Insgesamt: 83/214 | Stimmung 👀
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