Tobias Sammelsurium der Woche #47/2024
So eine stinknormale Kalenderwoche rauscht durch die Zeit und kaum hat sie begonnen ist sie auch schon wieder vorbei. Der Alltag ist eben alle Tage und während uns gerade noch die US-Wahl beschäftigt hat (Es grüßt das Murmeltier), ist es jetzt vielleicht eine Interkontinentalrakete auf die Ukraine (WTF?), die Frage ob Scholz oder Pistorius der nächste Nicht-Bundeskanzler wird (Laaaangweilig), dass es immer noch Schneefall in Deutschland gibt (Nein! Doch! Oh!) und das die schwedische Gleichstellungsministerin einen Bananenphobie hat (Huh?), das Thema des Tages.
Aber wie kann es sein, dass diese Statistik des Bundeskriminialamts nicht seit Dienstag alle Medien bestimmt?
Wie kann es sein, dass jeden Tag fast 500 Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden, das jeden Tag über 140 Frauen Opfer einer Sexualstraftat werden, dass jeden Tag fast 50 Frauen Opfer digitaler Gewalt werden, dass jeden Tag 1,6 Frauen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung erleben und vor allem, dass jeden Tag statistisch 2,5 Frauen ihr Leben verlieren, weil sie durch ihren (Ex-)Partner getötet werden?
Wo ist der verdammte Aufschrei?
Warum wird eine solche Statistik vom Vize-Präsidenten des BKA mit zwei Ministerinnen vorgestellt? Warum nicht vom BKA-Präsidenten mit dem Bundeskanzler?
Wo ist die Ansprache des Bundespräsidenten? Wo ist der Brennpunkt nach der Tagesschau? Wo ist das mediale Echo? Wo ist Friedrich Merz, der bei der Abschaffung des §218 laut »Skandalös« ruft? Wo sind die Männer, die sonst immer der Welt die Welt erklären, jetzt mal ganz kleinlaut und nachdenklich? Wie Sie hören, hören Sie nichts. Beredetes Schweigen ist eben auch eine Aussage.
Gewalt gegen Frauen ist kein Frauenproblem. Gewalt gegen Frauen ist ein Männerproblem.
Es ist daher auch eine Männeraufgabe dieses Thema zu lösen. Als Väter, als Freunde, als Brüder, als Söhne, als Kollegen, als Wegseher, als Täter: Männer müssen dafür sorgen, dass »Nie wieder!« jetzt und für immer gilt. Das wäre ausnahmsweise mal richtig männlich.
Dir ein aufmerksames Wochenende!
T.
P/S Wie mutig und beeindruckend, dass es Frauen wie Gisèlle Pelicot gibt, die diesem Wahnsinn die Stirn bieten, den Spiegel hinhalten und die Scham und die Schuld dahin lenken, wo sie hingehört: zu den Tätern. Madame Pelicot ist für mich der Mensch des Jahres 2024.
Post der Woche
Fünf fürs Wochenende
Triangle of Sadness
Dieser Film ist eine Tragikkomödie, die in der Welt der sogenannten Reichen und Schönen spielt. Eine bitterböse Satire, die in menschliche Abgründe schauen lässt und für alle Emotionen zwischen Scham, Ekel, Mitleid, Wut und Komik sorgt. Überschüttet mit goldenen Palmen und anderen Preisen ist der Film jetzt bei Arte in der Mediathek zu sehen.
» Ich verkaufe Scheiße
Slow Roads
Bei diesem kleinen Browsergame fährt man ein Auto, ein Fahrrad oder einen Bus durch eine schöne Landschaft, die man anpassen kann. Mehr nicht? Mehr nicht. Die Steuerung funktioniert old-school über die Tastatur W-A-S-D. Weder grafisch noch inhaltlich aufregend. Genau richtig bei Bürolangeweile oder nach einem ärgerlichen Meeting.
» Country Roads, Take Me Home
Sowjetische Weltkarte
Die Kartografie der Sowjetunion war zu ihrer Zeit wohl weltweit führend. Für das Militär entwickelt sind sie nicht während des Kalten Kriegs, sondern wohl bis heute, für manche Teile der Welt, das beste Kartenmaterial. Auf dieser Seite kann man sie im Karten-App-Stil ansehen. Einen Fehler gibt es aber mindestens. Auch die Sowjets haben das nicht-existente Bielefeld eingezeichnet.
» Nimm das, Google Maps!
One Minute Park
Kurze Auszeit gefällig, aber keine Lust auf die Slow Roads aus Tipp Nr. 2? Gut, hier geht's in die Natur und zwar jeweils für eine Minute in einen anderen Park auf dieser Welt. Gerade jetzt, im grauen November, ist das eine kleine Welt- und Zeitreise in sommerlichere Gefilde. Wer möchte kann für zukünftige Besucher*innen auch sein eigenes Parkvideo hochladen.
» Heute muss man ins Grüne geh'n
Was bleibt stehen?
»Am Ende wollen’s alle a lichtdurchflutete Altbauscheiße« hat Helmut Dietl gesagt. Alte Häuser und hohe Decken, am liebsten mit Stuck, stehen nach wie vor hoch im Kurs. Gleichzeitig ziehen wir immer neue Klötze hoch, in denen es sich heute prima leben oder arbeiten lässt, von denen ich mich aber frage, ob die architektonisch in über 100 Jahren noch irgendjemand haben will. Wo entstehen also heute die Gebäude, die auch in Zukunft noch begeistern? Vielleicht nicht immer da, wo man sie vermutet, wie diese tschechische Kapelle zeigt.
» Kreisrunde Besinnung
Damals geschrieben
#46/2023: Der beste Freitag der Welt. Die Haushaltslöcher.
#47/2022: Die Telefonzelle. Die Subtraktion.
Gedanke der Woche
»Erwartungen sind im Aufbau befindliche Enttäuschungen.«
Anne Lamott
Bild der Woche
Frage der Woche
Würdest du lieber in einer anderen Zeit leben?